Grenzen, die Zweite


Das Iliniza Abenteuer steckt uns noch in den Beinen, aber auch in schön verpackten Erinnerungen. 
Der Abstieg war für mich allerdings wirklich Limite. Und beschäftigte mich während eben diesem die Aussage des Guides, dass der Cotopaxi im Moment sehr anspruchsvoll sei, weil die ersten 100 Meter und die letzte halbe Stunde total vereist sind. Wenn ich etwas noch weniger mag als Geröll ist es Eis... Paul, der Guide, empfiehlt uns deshalb einen zweiten Guide zu nehmen und damit nicht beide (also Jürg auch😉) umdrehen müssen, wenn es bei mir nicht geht. 


Beim Nachholen des  Gipfelweins, den wir uns am Abend gönnen, diskutieren wir die verschiedenen Varianten. Eigentlich wäre die Besteigung des Cotopaxi unser gemeinsames Highlight gewesen. Aber ich spüre deutlich, dass ich mir das unter diesen Bedingungen nicht zutraue und trotzdem möchte, dass Jürg es versucht. Und so machen wir es dann auch. Allerdings ist klar, dass ich mit zur Schützhütte gehe und auch das Training mit den Steigeisen mitmachen werde. 

Zuerst haben wir uns aber noch einen Ruhetag gegönnt. Bei dessen Frühstückessen beschlossen wir spontan, am morgendlichen Austritt teilzunehmen und unsere Angst zu überwinden. Mit leicht bangem Blick haben wir zu den anmutigen Tieren aufgeschaut. Meines heisst ‚Barman‘, das find ich noch gut und Jürgs passenderweise ‚Cotopaxi‘. Wir sind selber überrascht, wie sehr wir das Reiten geniessen. Es ist beinahe surreal auf fast 4000müm eine idyllische Landschaft auf einem Pferderücken zu erleben. Herrlich. Wenn nur das Auf- und Absteigen nicht wäre. Ich habe jedenfalls alle Varianten durchprobiert: zu wenig, aber auch zu viel Schwung. Ja genau - dann geht‘s auf der anderen Seite wieder runter. Wenigstens habe ich das runter einigermassen ‚elegant‘ geschafft und Jürg hatte das Handy nicht griffbereit:-)). 






Den restlichen Tag geniessen wir im Alpenwellness und bei unserem aktuellen Kartenspiel: ,soviet kitchen‘. Erstmals auf der Reise treffen wir auch andere europäische Touris, mit denen wir uns auf einen Apero verabreden und uns über unsere Vorreisehürden austauschen. 

Auf Richtung Gipfel geht‘s dann am 5. November. Man muss sich mal vorstellen, dass sich der Parkplatz zum Refugium auf 4600müm befindet. Schon wahnsinnig, oder? Nach knapp einer Stunde erreichen wir das Refugium auf fast 4900müm. Es wäre eigentlich total herzig, aber so etwas von dumm gebaut. Das analysieren wir ausgiebig und fachsimpeln was das Zeug hält. Zu unserem Leidwesen ist es leider auch arschkalt in ebendiesem. Und zwar so kalt, dass die Temperatur in der Hütte pro Jahreszeit angegeben wird... (Mams, nix fer dich!). 
 

Nach einem leichten Lunch stechen wir los zum Gletscher, um unser Steigeisentraining zu absolvieren. Das Wetter verschlechtert sich von Minute zu Minute. Es schneit und windet und plötzlich ist ein riesen Knall zu hören. Als unser Guide ‚run‘ schreit, rennen wir abwärts Richtung Refugium. Da ich nur den Knall gehört, aber nichts gesehen habe, hatte ich keine Ahnung, was los war. Ist eine Lawine losgegangen oder eruptiert gar der Cotopaxi? Egal, besser nicht umdrehen und weiter rennen. Ich weiss nicht, ob ich schon mal in meinem Leben so eine Angst gehabt habe. Irgendwann wird klar, der Blitz hat eingeschlagen, wir waren total exponiert und der Guide hat noch Eispickel am Rucksack.  Obwohl mich sonst beim aufwärts gehen die Motivationszurufe von Jürg leicht agressiv machen, empfand ich es dieses Mal als wahnsinnig wohltuend, laufend seine ruhige Stimme hinter mir zu hören und ich war unendlich erleichtert, als wir die kalte Schutzhütte wieder erreichten.




 
Hinter uns stieg noch eine ganze Armeetruppe wieder ab, die fast oben auf dem Gipfel auf einem Lawinentraining war, zum Glück auch alle unversehrt. 


Aber das Abenteuer begann ja nun erst richtig. Beim frühen Nachtessen gab der Guide noch zum Besten, dass vor einem Jahr eine Gletscherbrücke abgebrochen und dabei ein Schweizer Paar verunglückt ist, genau was man vor so einem Abenteuer hören will, oder?  




Trotzdem gings dann nach einem wunderschönen Sonnenuntergang ab in die Haia. Um 23.00 klingelte der Wecker, in Stille und Ruhe wurde das Material fertiggepackt resp angezogen und kurz vor Mitternacht machten sich die beiden Herren auf den Weg. 



Es ist ein seltsames Gefühl, hier zurück zu bleiben, nicht weil ich dabei sein möchte, sondern weil ich merke, dass ich definitiv keine Frau für einen Mann mit einem gefährlichen Beruf wäre...

Nach einer unruhigen Nacht stehe ich früh auf und stelle schon mal erfreut fest, dass super Wetter ist. Ich wollte den beiden eigentlich gegen 8.00 entgegen laufen, da Paul meinte, sie seien gegen 10.00 Uhr zurück in der Hütte. Als ich kurz nach 7.00 in den Hang spähe, entdecke ich die beiden allerdings schon. Zuerst meine ich, dass es nicht geklappt hat, aber die strahlenden Gesichter sprechen für sich. 

Ich freue mich von ganzen Herzen, dass Jürg die Besteigung geglückt ist und bin unendlich stolz auf ihn. 








Und auch wenn ich dieses Erlebnis gerne geteilt hätte, Grenzen verschieben, sie überwinden, über sich hinauszuwachsen ist grossartig. Grenzen zu akzeptieren und sich und andere keiner Gefahr auszusetzen oder ihre Erfolgschancen zu mindern wahrscheinlich einfach nur erwachsen.  

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